Internes Konfliktmanagement unter der Lupe
Veröffentlicht in: personal manager – Zeitschrift für Human Resources | Ausgabe 1, Jänner/Februar; den im HR-Netzwerk eingestellten Originalartikel finden Sie hier.
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Interessensunterschiede, einander widersprechende Ziele, Konkurrenzdruck, Urlaubseinteilung oder einfach nur falsch verstandene Aussagen – Konflikte sind im Arbeitsalltag an der Tagesordnung. Die Medizinische Universität Wien will ihren Mitarbeitern ein Arbeitsumfeld bieten, in dem sie Konflikte offen ansprechen und konstruktiv beilegen können. Dazu führte sie 2012 ein Konfliktmanagementsystem ein, bei dem interne Konfliktmanager Mitarbeiter bei der Lösung von Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz unterstützen.
Konflikte als Zeit- und Kostenfaktor
Gehören Konflikte zum Arbeitsalltag? In einer Studie aus dem Jahr 2008 beantworteten 85 Prozent der über 5.000 befragten Mitarbeiter aus neun Ländern diese Frage mit „Ja“ (Hayes, Human Capital Report, 2008). Im Durchschnitt verbringen Mitarbeiter der Befragung zufolge 2,1 Stunden pro Woche mit der Bearbeitung von Konflikten. Umgerechnet auf die Jahresarbeitszeit und bezogen auf ein Durchschnittseinkommen belaufen sich die Konfliktkosten für eine Organisation mit 1.000 Mitarbeitern auf über zwei Millionen Euro pro Jahr.
Andere Studien belegen, dass sowohl eine gute Kommunikationsstruktur als auch eine hohe Konfliktkompetenz einen Beitrag dazu leisten, dass Mitarbeiter gesund und zufrieden sind (Hernstein Management Report, 2003). Beide Faktoren fördern zudem ein Arbeitsumfeld, in dem Beschäftigte kreativ, innovativ und engagiert arbeiten können. Die Medizinische Universität Wien hat aus diesem Grund als erste österreichische Universität ein internes Konfliktmanagementsystem eingeführt. Seit 2012 stehen den in Forschung, Lehre und Patientenbetreuung tätigen Ärzten, Forschern, Wissenschaftlern und Administrativkräften bei Spannungen und Konflikten interne Konfliktberater als Ansprechpartner zur Verfügung.
Interne Beratung und Coaching
Die internen Konfliktberater unterstützen ratsuchende Mitarbeiter gezielt bei der Suche nach entlastenden Handlungsmöglichkeiten und tragen zu einer Stärkung der Selbstverantwortung und Autonomie im Sinne eines „Empowerments“ der Kollegen bei. Ihre Aufgaben umfassen die Prävention und das frühzeitige Abfangen von Streitigkeiten im Arbeitsalltag für direkt und indirekt Betroffene sowie die niederschwellige (Erst-) Beratung bei belastenden Situationen oder niedrig eskalierten Konflikten.
Im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe beraten sie ratsuchende Mitarbeiter hinsichtlich nächster Schritte (zum Beispiel das persönliche Gespräch mit der anderen Konfliktpartei suchen oder eine durch den Konfliktberater geleitete Gesprächsmoderation mehrerer Konfliktpartner anstreben). Außerdem unterstützen sie beim Bearbeiten des Konflikts mithilfe von Techniken aus dem Coaching, wobei hier nicht die Problemverhaftung, sondern die Lösungsorientierung im Vordergrund steht. So versuchen sie, die Selbstverantwortung der Betroffenen zu stärken. Darüber hinaus kennen die Konfliktberater weitere interne wie externe Anlaufstellen und können die Mitarbeiter bei Bedarf an entsprechende Ansprechpartner verweisen. Wenn es beispielsweise um die Stärkung persönlicher Kompetenzen geht, kann die interne Personalentwicklung weiterhelfen, die ein entsprechendes Seminar empfiehlt. Handelt es sich um eine wahrgenommene Diskriminierung, steht der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen als zuständiges Gremium zur Verfügung. Bei Verdacht auf Mobbing sind darüber hinaus der Betriebsrat sowie die Personalabteilung als Ansprechpartner zu nennen. Folgende Methoden können die Konfliktberater je nach Bedarf einsetzen:
– Beratung (Informieren über Rahmenbedingungen und Handlungsmöglichkeiten, Klärung der Konfliktsituation und Unterstützung beim Entwickeln eines umfassenden Blicks auf diese durch Coaching, dadurch Stärkung der Handlungsautonomie und Empowerment der Ratsuchenden)
– Moderation von Konfliktlösungsgesprächen mit zwei Konfliktpartnern
– Empfehlung von Seminaren bei Bedarf (zum Beispiel Selbstpräsentation)
– Verweis an interne Gremien (zum Beispiel Betriebsrat oder Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen)
– Empfehlung eines externen Coachings beziehungsweise Mediation bei sehr hoch eskalierten Konflikten
Management hat wesentliche Multiplikatorfunktion
Die Vorbereitung auf den Implementierungsprozess erwies sich als ein zentrales Element für die erfolgreiche Etablierung des Konfliktmanagementsystems. Die Universitätsleitung initiierte zunächst eine mit Stakeholdern besetzte Steuerungsgruppe. Diese setzte sich unter anderem aus dem Betriebsrat, dem Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen, der Personalabteilung und der Rechtsabteilung zusammen. Gleichzeitig beauftragte die Führungsebene das externe Beratungsinstitut Trialogis, das mit seinen Erfahrungen im Bereich Konfliktmanagement und Mediation den Implementierungsprozess aktiv mitgestaltete und begleitete. Die externen Organisationsberater erarbeiteten mit einem internen Projektteam, bestehend aus Personalentwicklung, Curriculumkoordination und Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen, die für die Implementierung des Prozesses notwendigen Schritte (Abbildung 1).
In der Pilotphase, in welche die Medizinische Universität Wien sieben von etwa 40 Organisationseinheiten einband, fanden zunächst erste Projektteamsitzungen statt. Darin arbeiteten die Teilnehmer operativ an der Implementierung der Initiative „Konfliktkultur“, indem sie den Ist-Zustand der Konfliktkultur in der Organisation analysierten und diskutierten. Daran anknüpfend definierten sie die Inhalte für die Ausbildung der internen Konfliktberater sowie die Kriterien für die Bewerbung zu Konfliktberatern.
Die Medizinische Universität Wien lud alle Mitarbeiter der an der Pilotphase teilnehmenden Organisationseinheiten ein, sich als Konfliktberater zu bewerben. Neben bestimmten formalen Voraussetzungen – wie ein Mindestalter von 30 Jahren und eine Zugehörigkeit zur MedUni Wien von mindestens einem Jahr – mussten die Bewerber unter anderem soziale Kompetenz, Beratungskompetenz und Akzeptanz im beruflichen Umfeld nachweisen. Vor Aufnahme ihrer Tätigkeit erhielten sie eine modulare Ausbildung durch Trialogis. Sie bestand aus vier theorie- und praxisbasierten Trainingsmodulen zu den Themen Beratung, Konfliktmanagement, Gesprächsführung und interne Prozesse, welche die Teilnehmer in Gruppen nachbearbeiteten. Ergänzend dazu fanden kollegiale Beratungen („Intervisionen“) statt, in denen die Teilnehmer gemeinsam mit anderen Konfliktberatern vergangene Beratungen noch einmal durchsprechen und „Learnings“ für die Zukunft definieren konnten.
Nach dem Ausbildungsstart der künftigen Konfliktberater informierte die Medizinische Universität Wien alle Mitarbeiter sowohl via E-Mail als auch im Rahmen einer Veranstaltung über die Initiative. Für die Führungskräfte fanden eigene Informationsworkshops statt. Nach einem Kick-off-Event nahmen die internen Konfliktberater ihre Tätigkeit auf.
Positive Effekte schon nach einem Jahr erkennbar
Konstruktiv bearbeitete Konflikte können den Gruppenzusammenhalt stärken, Veränderungen auslösen sowie Neugier, Interesse, Kreativität und Innovation anregen (Proksch, 2010). Ob sich ähnliche Effekte auch nach der Einführung des Konfliktmanagementsystems an der MedUni Wien feststellen ließen, analysierte die Hochschule in einer Vorher-Nachher-Studie. Schon nach einem Jahr Laufzeit ergab sich den Ergebnissen zufolge ein statistisch signifikanter positiver Effekt auf die Organisationskultur in den Pilotorganisationseinheiten (Abbildung 2).
Die Organisationskultur (von Badura, 2008, als „Wertekapital“ bezeichnet) betrifft die innerhalb der gesamten Organisation gelebte Kultur und umfasst die „Gemeinsamkeit bezüglich Regeln, Werten und Visionen, Wertschätzung und Vertrauen, Zusammenhalt in der Organisation, Gerechtigkeit/Fairness und Konfliktkultur“. Der Bekanntheitsgrad der Konfliktberatung war ein Jahr nach der Einführung bei Mitarbeitern und Führungskräften signifikant gestiegen. Dabei orteten die Führungskräfte einen höheren Bedarf der Initiative als Mitarbeiter. Die Studienergebnisse lassen weiters den Schluss zu, dass Führungskräfte
besser über das Projekt informiert waren als Mitarbeiter. Die Beschäftigten, welche die Konfliktberatung in Anspruch genommen hatten, konnten zusätzlich zur Vorher-Nachher-Studie mittels anonymer Fragebögen ein Feedback geben. Sie gaben darin an, dass die Konfliktberatung für die Entschärfung ihrer jeweiligen Konflikte nützlich war, und bewerteten – ebenso wie die Konfliktberater selbst – die Initiative sehr positiv.
Erfolgsfaktoren und Risiken – ein Fazit
Die Erfahrungen der Medizinischen Universität Wien haben gezeigt, dass einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren bei der Implementierung eines ganzheitlichen Konfliktmanagementsystems das Commitment des Managements ist. Ob Geschäftsführer, Direktorin, Rektor oder Inhaberin: Die Zustimmung, ein klares Bekenntnis und die aktive Unterstützung durch die Leitungsebene ist ein zentrales Element bei der erfolgreichen Umsetzung eines solchen Changeprozesses. Neben diesem Top-down-Ansatz ist ein derartiger Prozess jedoch auch nur möglich, wenn die Mitarbeiter, die zu internen Konfliktberatern ausgebildet werden und ihren Kollegen bei schwierigen Situationen im Arbeitsalltag zur Seite stehen, engagiert mitwirken und sich für das Thema einsetzen. Als dritte Säule sei „der externe Blick“ erwähnt. Eine Change-Initiative bedarf der Begleitung durch externe Berater, die mit ihrer Expertise einerseits den Prozess und die Methoden gestalten sowie für die fundierte Ausbildung der Konfliktberater sorgen und andererseits – um einer gewissen „Betriebsblindheit“ entgegenzuwirken – eine externe Sicht auf die Organisation einbringen. Besonders erfolgskritisch ist darüber hinaus das Projektteam, das für die Vorbereitung der Entscheidungen der Steuerungsgruppe Informationen ausführlich zusammenträgt, vorab diskutiert, Konzepte erstellt und diese entsprechend aufbereitet. Das Projektteam muss operativ sehr aktiv sein, personelle und zeitliche Ressourcen zur Verfügung stellen und es sollte einen guten internen Blick auf die Organisation haben.
Ein Risikofaktor bei der Umsetzung des Projekts ist der Bereich Kommunikation und Information. Nicht optimal aufbereitete und über verschiedene Medien verbreitete Informationen können zu mangelnder Transparenz führen, was bei Mitarbeitern Unklarheiten und Ängste hervorrufen kann, die wiederum zur Ablehnung des Systems führen können. Die Medizinische Universität Wien legte daher Wert auf größtmögliche Transparenz und informierte sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter in Veranstaltungen, persönlichen Gesprächen, E-Mail-Aussendungen, Artikeln und im Mitarbeitermagazin über die Initiative. Wesentlich ist darüber hinaus, möglichst alle wichtigen Stakeholder in den Prozess einzubinden – und zwar von Anfang an. Eine Steuerungsgruppe, in der alle Interessensgruppen ihr Wissen und ihre Expertise einbringen, agiert erfolgversprechender und trägt damit ganz wesentlich zu einer Optimierung der Arbeits- und Organisationskultur bei.
Quelle: personal manager – Zeitschrift für Human Resources | Ausgabe 1 Jänner/Februar
den Originalartikel finden Sie hier.
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Literaturtipps
Sozialkapital: Grundlagen von Gesundheit und Unternehmenserfolg.
Von Bernhard Badura, Wolfgang Greiner, Petra Rixgens, Max Ueberle & Martina Behr.
Springer Verlag 2008.
Workplace conflict and how businesses can harness it to thrive.
Von Jeff Hayes.
CPP Global Human Capital Report 2008.
www.cpp.com/pdfs/CPP_Global_Human_Capital_Report_Workplace_Conflict.pdf (16.11.2014).
Hernstein Management Report 5 (2003).
Konfliktmanagement im Unternehmen: Mediation als Instrument für Konflikt- und Kooperationsmanagement am Arbeitsplatz.
Von Stephan Proksch.
Springer Verlag 2010.
Webtipp
www.meduniwien.ac.at/pe/konfliktkultur
(Kurzinformation über das Projekt an der Medizinischen Universität Wien)
Tipp: Aktuelle Weiterbildungsangebote zum Thema Medizin und Gesundheit finden Sie laufend online in der Bildungsdatenbank »medicine & health«.