Die Herausforderungen und Gegebenheiten in der Humanitären Hilfe (HH) und Entwicklungszusammenarbeit (EZ) sind einem ständigen Wandel unterworfen. Dies beruht auf politischen Umständen, aber unter anderem auch auf sich ändernden Krankheitserregern bzw. deren Therapie. Auch wenn viele Grundsätze in der medizinischen Versorgung über die Jahre nicht an ihrer Gültigkeit verloren haben, haben sich foring – das Forum für internationale Gesundheit – sowie das Center for International Health (CIH) der Ludwig-Maximilians-Universität in München zur Aufgabe gesetzt, im Rahmen ihres UPDATE Symposiums neue Erkenntnisse und Ansätze vor allem bezüglich der medizinischen Versorgung zu vermitteln. Dieses Jahr fand das Symposium zum zweiten Mal im Hörsaal der Physiologie der LMU München statt. Moderiert wurde die Veranstaltung von Günter Fröschl des CIH und Reinhard Klinkott von foring.
Den Auftakt der Veranstaltung machte Dr. Maximilian Gertler von Ärzte ohne Grenzen, welcher in seinem Vortrag auf verschiedene Aspekte der neueren Herausforderungen in der HH einging. Unter anderem betonte er, dass HH mittlerweile weit mehr als die Akutversorgung von Menschen sei, sondern auch immer mehr epidemiologische Aspekte wie das Identifizieren von Indexpersonen sowie das Management von Kontaktpersonen (Ebola) und die statistische Auswertung von Daten eine Rolle spielten. Dies sollte im Folgenden von vielen weiteren Vorträgern bestätigt werden. Zudem wies Dr. Gertler auf die weiterhin bestehende Forschungslücke bezüglich „neglected tropical diseases“ hin. Diese trüge zu den Herausforderungen im Bereich der HH/EZ bei. Oft bedeute dies eine aufwändige Therapie, welche im Kontext der HH oft nicht durchführbar sei, obwohl vielleicht leichter anwendbare Mittel erforscht oder sogar Impfungen entwickelt werden könnten. Als weiteren besorgniserregenden Punkt nannte er den Wechsel von international als geschützt angesehenen humanitären Einrichtungen und Personal hin zu immer weiter zunehmenden gezielten Angriffen auf solche Strukturen/Personen. Als weitere moderne Herausforderungen wurde die Versorgung von Flüchtlingen in Europa sowie die notwendige Öffnung medizinischer Fachgruppen zu Epidemiologen und fachfremden Koordinatoren genannt.
Als nächste Sprecherin berichtete Dr. Nicole Schmidt von der Arbeitsgemeinschaft für Frauengesundheit in der Entwicklungshilfe (FIDE) über den Zustand der Frauengesundheit weltweit. Ungefähr 53 Millionen Frauen seien weiterhin ohne adäquate Versorgung, insbesondere bezüglich Vorsorgeuntersuchungen in der Schwangerschaft. Es sei zwar eine 44%ige Senkung der Müttersterblichkeit seit 1990 zu verzeichnen, dennoch stürben 850 Frauen am Tag und davon 99% in Entwicklungsländern. Die Ursachen hierfür ließen sich dabei in direkte und indirekte Ursachen teilen. Zu den direkten Ursachen gehörten z.B. die postpartale Hämorrhagie, Infektionen aber auch unsachgemäß vorgenommene Abtreibungen. Auf Grund besserer Versorgung wie z.B. der Gabe von Oxytocin nach Geburt hätte dieser Teil gut abgenommen. Im Verhältnis dazu habe der Teil der indirekten Gründe wie z.B. Anämie, HIV, Hepatitis oder die Beschneidung von Frauen dagegen zugenommen. Dr. Schmidt betonte daher die Wichtigkeit der guten Sexualkunde inklusive Familienplanungsberatungen besonders auch NACH einer Schwangerschaft sowie von Vorsorgeuntersuchungen und des Three Delays Models (s. Referentenpräsentation)
Anschließend berichtete Dr. Reinhard Klinkott von foring über die neuen Strategien der Kindergesundheit in der internationalen Gesundheitsarbeit. Auch wenn das Millennium Development Goal Nr.4 (Senkung der Kindersterblichkeit um 2/3 zw. 1990-2015) nicht erreicht wurde, ist auch hier ein positiver Trend bezüglich der Abnahme der Mortalität zu verzeichnen. Nach wie vor versterben Kinder v.a. Dingen an Infektionskrankheiten oft im Zusammenhang mit Unterernährung. Besonders gefährdet sind Neugeborene, die für fast die Hälfte aller Todesfälle verantwortlich sind. Im Bemühen, die Kindersterblichkeit weiter zu senken, hat sich das „continuum of care“-Model bewärt. Neue globale Strategien setzen zudem auf einen multisektoralen Ansatz sowie den Ausgleich sozio-ökonomische Missstände v.a. Dingen in der Gruppe der Jugendlichen. Verlässliche Daten sind hier eine wesentliche Voraussetzung, um den Erfolg von Maßnahmen einschätzen zu können.
Zum Thema der sexuellen und reproduktiven Gesundheit auch vom rechtlichen Aspekt her gesehen berichtete Martin Brechter von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit. Er verdeutlichte, dass in Regionen mit häufigen Kinderheiraten, insbesondere mit minderjährigen Mädchen, die Geburtskomplikationen die zweithäufigste Todesursache bei Mädchen darstellten. Zudem spielten politische und gesetzliche Aspekte hinsichtlich sachgemäßer Abtreibungen und Beratung zur Familienplanung wie z. B. der Benutzung von Kondomen eine große Rolle, auch was die Finanzierung von Projekten angehe. Erneut wurde darauf hingewiesen, dass die Datenlage schlecht sei und man von vielen Menschen in Krisengebieten nicht einmal Geschlecht und Alter wisse. Die Datenerhebung sei zudem durch ständige Menschenwanderungen erschwert.
Dr. Ralf Weigel von der Liverpool School of Tropical Medicine berichtete ganz konkret zu den Trends in der HIV/AIDS Behandlung. Das Ziel sei, 90% allerMenschen, die mit HIV infiziert seien, auch korrekt zu diagnostizieren, davon 90% zu behandeln und wiederum davon 90% unter die Virusnachweisgrenze zu bringen. Dieses Ziel sei noch nicht erreicht, es gäbe aber neue Ansätze. Hierzu zähle vor allem der „differentiated care approach“, welcher u. a. alle Level des Gesundheitssystems mit einschließe. Viele Patienten müssten dann nur noch 1x jährlich ins Krankenhaus zu einer Untersuchung. Nur bei fortgeschrittenen Fällen bräuchte man dann Spezialisten und somit wäre auch ein „life cycle approach“ (Schwangere, Kinder, Ältere) besser zu gestalten. Neu in der Prävention sei vor allem, dass die Behandlung als fester Bestandteil der Prävention angesehen werde. In der Diagnose sei die kontrovers diskutierte Selbsttestung weiter in der Studienphase, ein Stufensystem zeige sich derzeit als praktikabel. In diesem würden „Health Care Workers“ eine HIV-Testung durchführen und nur bei positivem Ergebnis würden die Betreffenden an ein Krankenhaus weiterverwiesen werden. Ein weiterhin bestehendes Problem sei die Testung bei Kindern, da eine PCR- Untersuchung zur sicheren Testung nötig sei. In der Behandlung sei relativ neu, dass man nun bereits schon ab einer geringen Viruslast mit der antiretroviralen Therapie beginne. Dies werde auch weiterhin kontrovers diskutiert, insbesondere auf Grund von Resistenzen.
Es blieb weiterhin klinisch mit Dr. Judith Linderts (foring ) Vortrag zum Thema Unterernährung bei Kindern. 45% aller Todesfälle bei Kindern zwischen 6 -60 Monaten seien mit Unterernährung assoziiert. Hierbei gäbe es zwei Hauptformen, Kwashiorkor und Marasmus, welche immer einer differentialdiagnostischen Abklärung z.B. hinsichtlich Nierenerkrankungen bedürften. Zu den Komplikationen einer Behandlung gehörten vor allem Hypoglycämie, Hypothermie, Dehydratation und Infektionen. Dennoch sollte nur in Ausnahmefällen intravenöse Flüssigkeit gegeben werden. Insgesamt gehörten zur Therapie außerhalb des abgestimmten Phasenmanagements (s. Referentenpräsentation) auch eine breite Antibiose und eine Wurmkur.
Sehr anschaulich berichtete Dr. Kirsten Schmidt-Hellerau im Anschluss von ihrem Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen zur Organisation eines Cholera-Camps. Oberstes Gebot bleibe, die Mortalität zu senken, allerdings gehöre vor allem auch dazu, eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Hierfür sei es enorm wichtig, die Bevölkerung adäquat und immer wieder über Hygienemaßnahmen und die Krankheit zu informieren. Oft seien lokale religiöse oder wirtschaftliche Gepflogenheit wie heiliges Wasser, das Krankheiten heilen solle, sowie z.B. Goldschürfaktivitäten eine große Hürde. Zum Management insgesamt gehörten mittlerweile nicht nur „Cholera Treatment Centers“ (TCs), sondern auch so genannte „Oral Rehydration Points“. An diesen würde Elektrolytlösung für weniger schwere Fälle ausgegeben werden und ein geschulter „Health Care Workers“ können schlimmere Fälle dann an das TC überweisen. Im TC selbst sei ein Stufenplan die Behandlungsmaßgabe, nach welchem leichte Fälle mit Elektrolytlösung nach Hause geschickt würden, mittelschwere Fälle zunächst oral aber im TC überwacht behandelt und nach 4h reevaluiert werden würden und schwere Fälle einer intravenösen Behandlung zugeführt würden. Nur in seltenen Fällen sei eine antibiotische Behandlung mit Doxycyclin nötig. Die vorhandenen Impfungen seien auf Grund der bislang geltenden zweifach-Dosis Einnahme im Abstand von einer Woche wenig praktikabel, es gäbe nun aber Studien, welche die Effektivität einer einmaligen Gabe testeten.
Den Abschluss der Veranstaltung machte Francois de Keersmaeker von Ärzte der Welt mit seinem Vortrag über die Herausforderungen der humanitären Hilfe in anhaltenden Krisen. Besonders wichtig sei hier ein langer Atem der Beteiligten sowie eine extreme Anpassungsbereitschaft an die sich schnell ändernden Situationen. Zudem sei eine strikte Trennung zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr möglich, daher müssten diese Aktivitäten ineinandergreifen. Wichtig sei auch eine gewisse Geberflexibilität und eine langfristigere Finanzierung von Projekten. Auch müsste vermehrt Wert auf die Ausbildung lokaler Akteure gelegt werden und Sicherheitskonzepte erarbeitet werden. Immer wieder müsse man sich auch mit den kritischen Fragen auseinandersetzen, ob NGOs als Dienstleister der Staaten missbraucht würden, ob die Hilfe damit denn auch wirklich unabhängig sei und ob nicht gar am Ende die Hilfe sogar eher den Konflikt verlängere.
Mit diesen nachdenklichen Worten war die insgesamt von über 100 Teilnehmern ausgebuchte Veranstaltung zu Ende. In den Pausen hatten die Teilnehmer die Chance, auf dem Markt der Möglichkeiten Entsendeorganisationen und Fachgesellschaften aus dem Bereich der Humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit kennen zu lernen und über das Gehörte zu diskutieren. Insgesamt zeigten sich sowohl Organisatoren, Aussteller und Teilnehmer sehr zufrieden mit der Veranstaltung, so dass sich alle bereits auf den 21.04.2018 freuen, wenn das 3. Update Symposium in München stattfinden wird.
Veröffentlicht in GI-Mail 08/2017 (Deutsche Ausgabe). Abonnieren Sie GI-Mail hier.
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