Eine Pressemitteilung der
„Die Funktion folgt der Form“ – eine neue Allianz von Bayerischer Forschungsstiftung, privaten Spenden und der biotechnologischen Industrie ermöglicht die Entwicklung neuer Medikamente zur Behandlung von Kindern mit seltenen Erkrankungen.
Mit einem innovativen Forschungsprojekt wollen Wissenschaftler am Dr. von Haunerschen Kinderspital des Klinikums der LMU München gemeinsam mit Biotech-Firmen dringend nötige medikamentöse Therapien zur Behandlung von Kindern mit seltenen Erkrankungen entwickeln. Möglich wird dieses von Dr. Søren Gersting und Professorin Ania Muntau geleitete Projekt durch eine Förderung der Bayerischen Forschungsstiftung sowie eine großzügige Spende einer Münchner Familie. Mit einem Gesamtvolumen von 1,9 Millionen Euro können die Wissenschaftler in Kooperation mit der Firma Crelux aus Martinsried und der Firma Nanotemper aus München nach neuen Wirkstoffen fahnden und gleichzeitig die notwendigen Technologien weiterentwickeln.
Bei einer Vielzahl genetischer Erkrankungen führen Mutationen zu Veränderungen von Eiweißstoffen, die wichtige Funktionen im Körper übernehmen. Eiweiße bestehen aus langen Ketten, die sich aus unterschiedlichen Kombinationen von nur 20 verschiedenen Aminosäuren zusammensetzen. In der Zelle werden diese Ketten in eine dreidimensionale Struktur gefaltet. „Die Form und Beweglichkeit der Eiweiße bestimmen ihre Funktion“, erklärt Søren Gersting. „Durch Mutationen werden einzelne Aminosäuren in der Kette ausgetauscht, es kommt zu einer veränderten Faltung und dadurch zu einem Verlust der Stabilität und der Funktion. Letztlich werden diese instabilen und funktionslosen Eiweiße von der Zelle erkannt und abgebaut.“ Bei den seltenen Krankheiten Phenylketonurie und MCAD-Mangel sind Eiweiße betroffen, die für den Abbau von Stoffwechselprodukten in der Zelle zuständig sind. Durch den Funktionsverlust stauen sich Stoffwechselprodukte im Körper an und die Patienten erleiden unbehandelt schwere neurologische Schäden.
In ihrem innovativen Ansatz wollen die Forscher nun dank neuester Methoden von Hochdurchsatzverfahren und hochauflösender Röntgentechnik Medikamente finden, die die krankhafte Fehlfaltung der Eiweißstoffe verhindern. Damit könnte 15.000 Kindern mit Phenylketonurie und MCAD-Mangel in Europa geholfen werden. „Das Prinzip ist zwar noch sehr neu“, sagt Ania Muntau, „wir konnten aber bereits die Entwicklung eines solchen Faltungshelfers zum Medikament begleiten, das heute zur Behandlung der seltenen Stoffwechselerkrankung Phenylketonurie eingesetzt wird. Dieses Prinzip möchten wir nun technologisch verbessern und auch auf andere Erkrankungen übertragen, um den betroffenen Kindern eine wenig belastende Behandlung zu ermöglichen.“ Die Wissenschaftler wollen innerhalb der 3-jährigen Laufzeit des Projekts Faltungshelfer identifizieren, die schließlich von der Pharmaindustrie zu Medikamenten weiterentwickelt werden.
„Es gibt erst wenige Beispiele solcher interdisziplinärer Forschungsprojekte für seltene Erkrankungen an der Schnittstelle von Klinik, Grundlagenforschung und Industrie“, ergänzt Professor Christoph Klein, Direktor am Dr. von Haunerschen Kinderspital und Sprecher der deutschen Netzwerke für Seltene Erkrankungen. „Ich freue mich sehr, dass nun dank eines außergewöhnlichen privaten Engagements in Kombination mit staatlicher Förderung dringend nötige neue Medikamente für Kinder mit seltenen Erkrankungen entwickelt werden können! Das ist ein wunderbares Beispiel für neue Allianzen zugunsten der Schwächsten unserer Gesellschaft und könnte Modellcharakter haben.“
Es gibt über 7.000 bekannte seltene Erkrankungen, aber nur ca. 100 zugelassene Medikamente für diese „Waisen der Medizin“ („orphan diseases“). Es ist deklariertes Ziel der internationalen Forschergemeinde, bis zum Jahr 2020 mindestens 200 neue Medikamente für seltene Erkrankungen zu entwickeln.
Tipp: Aktuelle Weiterbildungsangebote zum Thema Medizin und Gesundheit finden Sie laufend online in der Bildungsdatenbank »medicine & health«.