von Hasan Kelani.
Von Oktober 2019 bis Jänner 2020 hatte ich die einmalige Gelegenheit, in der japanischen Hauptstadt Tokio zu leben und dabei klinische Praktika in drei Fachrichtungen an der Showa University zu absolvieren.
Als Studierender der Medizinischen Universität Wien hat man die Möglichkeit, in den letzten zwei Studienjahren eineinhalb Jahre im Ausland zu verbringen. Diese Gelegenheit wollte ich mir nicht entgehen lassen und war besonders davon angetan, ein fernes Ziel aufzusuchen.
Motivation
Die Medizinische Universität Wien verfügt außerhalb von Europa über mehrere Auslandskooperationspartner, wie zum Beispiel in Georgien, Ägypten oder einigen Städten in Japan oder China, wobei mich Tokio dabei am meisten ansprach. Einerseits empfand ich den Gedanken ziemlich reizend, in der weltweit größten Metropole der Welt zu leben, andererseits genießt Japan und die dortige Bevölkerung in der westlichen Welt einen ausgezeichneten Ruf – sei es aufgrund der vielfältigen touristischen Möglichkeiten, der Sauberkeit und Sicherheit im Land, dem köstlichen japanischen Essen oder der außergewöhnlich höflichen und zuvorkommenden Menschen. Hohe Erwartungen an das medizinische Praktikum selbst wollte ich mir nicht stellen, viel mehr war es mein Ziel, die japanische Kultur und Gesellschaft bestens kennenzulernen und mitzuerleben.
Bewerbung und Anmeldung
Ich bewarb mich im Herbst des vorherigen Studienjahres über das Kooperationsprogramm der Medizinischen Universität Wien. Über ein Online-Formular konnte ich drei von mir bevorzugte Städte bzw. Universitäten aussuchen, zusätzlich musste ich ein Motivationsschreiben verfassen. Rund ein Monat später erhielt ich dann die Zusage für ein Auslandstrimester an der Showa University in Tokio. Als nächstes hatte ich ein persönliches Briefing im International Office der Medizinischen Universität Wien. Die weitere Organisation und Kommunikation waren recht unkompliziert und erfolgten per Mail. Natürlich musste ich im weiteren Verlauf einige Dokumente, wie zum Beispiel einen Immunisierungsnachweis, einen „Letter of Recommendation“ der heimischen Universität oder einen Nachweis der bisher erbrachten Studienleistungen, zukommen lassen, insgesamt war der Gesamtaufwand aber nicht enorm.
Ankunft und erste Wochen
Vor Ort wurde ich von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des International Exchange Office herzlich in Empfang genommen und ich erhielt die Schlüssel der kostenlos zur Verfügung gestellten 1-Zimmer-Wohnung. Dieses Apartment befand sich unmittelbar neben dem Büro des International Exchange Office und nur fünf Minuten vom Hauptgebäude des Krankenhauses entfernt. Vor Beginn der Praktika hatten wir ein ausführliches Einführungsgespräch, das die Themen Leben und Wohnen, sowie das Praktikum im Spital behandelte. Dies erfolgte gemeinsam mit anderen Studierenden aus Wien, insgesamt waren wir zu fünft: zwei Studierende der Zahnmedizin, die für ein Monat an der dortigen Zahnklinik einen Praktikumsplatz hatten, und drei Studierende der Humanmedizin, die für insgesamt 12 Wochen an der Showa Univerity sein durften.
In den ersten Wochen wurde uns eine „Japanese Class“ angeboten. Bei insgesamt fünf Einheiten lernten wir dabei wichtigste Vokabel und Phrasen für den alltäglichen Gebrauch und bekamen eine Einführung einiger Aspekte der japanischen Kultur. Die meisten von uns hatten sich in der Heimat bereits mit Japanisch-Sprachkursen auf die Auslandszeit vorbereitet – für mich war die Japanese Class vor Ort mein erster Kontakt mit der japanischen Fremdsprache.
Darüber hinaus gab es jede Woche Donnerstag zur Mittagszeit in den Räumlichkeiten des International Office einen „Chat Club“. Daran nahmen neben uns auch japanische Studierende sowie Ärztinnen und Ärzte teil. Der Chat Club diente in erster Linie zur Vernetzung und zum Austausch untereinander, aber auch zur regelmäßigeren Anwendung und zum Üben der englischen Sprache für die japanischen KollegInnen.
Tätigkeit und Arbeitsbedingungen
Meine Praktika bestanden aus je vier Wochen Neurologie, Notfallmedizin sowie Pädiatrie. Die Arbeitszeiten unterschieden sich von Abteilung zu Abteilung, generell arbeitete man unter der Woche meist ab 8/9 Uhr und war gegen 16/17 Uhr fertig (Mittagspause war selbstverständlich auch dabei und kulinarisch immer wieder ein Highlight). Es kam aber nicht selten vor, dass ich schon zur Mittagszeit heimgeschickt wurde. In der Notaufnahme hatten wir die Möglichkeit, 12h-Dienste zu absolvieren – dafür bekamen wir an anderen Wochentagen frei.
Die Praktika selbst waren für uns Studierende mehr theoretisch als praktisch. Anders als in Österreich oder Deutschland, wo man als MedizinstudentIn fast zur Gänze Tätigkeiten am Krankenbett ausüben darf, ist dies dort mehr die Ausnahme als die Regel. Somit waren die Tage im Krankenhaus hauptsächlich eine Form von Mitlaufen und Zuschauen. In der Notaufnahme durfte man zumindest Ultraschalluntersuchungen und arterielle Blutabnahmen machen.
Die sprachliche Barriere machte uns im Krankenhaus-Alltag am meisten zu schaffen. Morgenbesprechungen, Visiten und Dokumentation erfolgten selbstverständlich allesamt in japanischer Sprache. Nur die Wenigsten des Personals konnten halbwegs flüssig die englische Sprache sprechen und verstehen. Oft war der Abteilungschef höchstpersönlich die einzige Person, die mit uns sprechen konnte. Umso mehr schätzten wir jeden Versuch oder jede Anstrengung, uns ins Geschehen einzubinden. So kommunizierten manche Ärztinnen und Ärzte mittels Google-Übersetzer (inkl. Sprachausgabe am Handy), andere wiederum bereiteten im Vorfeld einer Morgenbesprechung eine schriftliche Zusammenfassung der aktuellen Geschehnisse und der geplanten weiteren Maßnahme jedes einzelnen PatientInnen in englischer Sprache vor.
Apropos Abteilungschef: In der japanischen Berufswelt ist es üblich, dass man zeitlich vor dem Chef in der Arbeit erscheint und erst, nachdem er die Arbeit verlässt, Feiertag hat. In Japan ist es auch nicht gewohnt, länger als der Chef Urlaub zu machen, womit in der Regel nur 1-2 Wochen pro Jahr Zeit für Urlaub bleibt. Dies sind bei weitem keine gesetzlichen Vorschriften, mehr zählt es zur Kategorie „Das gehört sich“, wie es in der japanischen Gesellschaft oft üblich ist. (Notiz am Rande: In diesem Absatz wurde beabsichtigt auf das Gendern verzichtet. In den japanischen Spitälern ist ein weiblicher Abteilungsvorstand leider absolute Rarität.)
Abteilungsinterne Fortbildungen waren überraschenderweise nicht sehr häufig. Dies war wohl dem Umstand geschuldet, dass oft – teilweise mehrmals wöchentlich – Vorträge von externen PharmafirmenvertreterInnen stattfanden. Dabei stand weniger der Vortrag als das ausnahmslos hervorragende mitgebrachte Essen in Form von Bento-Boxen im Vordergrund, das die Ärzteschaft während der Präsentation genießen durfte. Ansonsten hatten wir oft das Privileg, von motivierten ÄrztInnen ein Teaching im Verhältnis Eins-zu-Eins zu aktuellen oder gewünschten Themen zu erhalten.
Versicherung
Vor der Reise musste ich mich vor allem um eine Auslandskrankenversicherung kümmern. Am einfachsten geht das, wenn man eine Kreditkarte besitzt. Da ist oftmals eine Krankenversicherung für das Ausland inkludiert, wie es in meinem Fall war. Unfall- und Haftpflichtversichert ist man auch in Japan über die Österreichische Hochschüler_innenschaft (ÖH). Auf Anfrage erhält man eine Versicherungsbestätigung per Mail, die der Gastuniversität vorgewiesen werden kann.
Freizeit
Wenn wir in unserer Freizeit nicht gerade die vielen Ecken und aufregenden Stadtviertel in Tokio bewunderten und uns die Füße wundliefen, standen des Öfteren Einladungen von ÄrztInnen zum Abendessen oder zum gemeinsamen Tennisspielen auf dem Programm. Öfters waren wir auch mit einer Gruppe von acht tollen japanischen Studierenden unterwegs, die ursprünglich geplant hatten, im darauffolgenden Frühling als Austausch an die Medizinischen Universität Wien zu kommen. Leider machte ihnen da ein gewisses Virus einen Strich durch die Rechnung, wie sich später herausstellen sollte. Ebenfalls standen einige Tages- und Wochenendausflüge auf dem Programm, wie zum Beispiel mit dem Zug nach Yokohoma zum Oktoberfest, mit dem Auto zum ehemaligen olympischen Austragungsort Nagano zum Skifahren oder mit dem Flugzeug nach Seoul. Auch das International Exchange Office bot einige nette Aktivitäten an. Insgesamt sei gesagt, dass einem in und rund um Tokio nie langweilig wurde – auch nicht nach drei Monaten.
Fazit
Generell ist es eine gute Sache, wenn man im Studium so oft wie möglich den Weg ins Ausland sucht. Im späteren Berufsleben wird es nicht mehr so einfach sein, für eine längere Zeit in fremde Kulturen einzutauchen und andere Gesellschaften und Gesundheitssysteme kennenzulernen. Meine drei Monate in Tokio und die anschließend angehängten zwei Reisewochen in anderen Gegenden Japans waren für mich eine unvergessliche Zeit. In kaum einer Gegend der Welt finden sich so höfliche und gastfreundliche Menschen, in kaum einem Land liegt ein so hohes Maß an Sicherheit und Sauberkeit vor wie in Japan. Nirgendswo zuvor fühlte ich mich im Ausland wohler und ich werde ewig dankbar für all die Momente sein, die ich sowohl im Praktikum als auch außerhalb erleben durfte.
Kostentabelle
Flug (Hin- und Rückflug, direkt, AUA, inkl. 2x23kg Gepäck) | Ca. EUR 720 |
Unterkunft | EUR 0 (kostenlos zur Verfügung gestellt) |
Transportkosten (Öffis) | Sehr individuell – EUR 150-300/Monat |
Essen und Trinken | Sehr individuell – EUR 750-1250/Monat |
Freizeitaktivitäten | Sehr individuell – EUR 200-300/Monat |
Gesamtkosten | Sehr individuell – EUR 1000-2500/Monat |
Weiterführende Links
Kooperationspartner der MedUni Wien, Bewerbung & Anmeldung
Informationen bzgl. Versicherungen und Versicherungsbestätigung der öst. HochschülerInnenschaft (ÖH)
Offizielle Website der Showa University
Kostengünstig und klimafreundlich Japan mit dem Zug (Shinkansen) zu erkunden (Tipp: im Ausland einen Pass zu buchen, kommt billiger!)
Kontakt
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Zitierung
Kelani, Hasan: „Irrasshaimase“ – Willkommen in Tokio (In: Polak, G. [Hg.]: GI-Mail 10/22, ISSN: 2312-0819 Going International, Wien 2022)
Diese Publikation steht hier zum Download bereit.
Veröffentlicht in GI-Mail 10/2022 (Deutsche Ausgabe).
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