von Tara Meister.
Ich habe in diesem Sommer die 3 months clinical rotation in Philadelphia an der UPENN gemacht und hatte bereits lange vor Antritt des Praktikums beschlossen: ich möchte aus diesem Aufenthalt das Maximum herausholen.
Ich habe also an meinen Aufenthalt drei weitere Wochen in den USA angehängt und an dem letzten Wochenende vor meinem Rückflug ein Seminar an der Columbia University in New York zu „Narrative Medicine“ besucht, von dem ich hier gerne berichten möchte.
Was ist überhaupt Narrative Medicine?
Narrative Medicine- oder Narrative Medizin zu deutsch- ist ein Konzept das unter den Überbegriff der „medical humanities“ fällt, die sich im weitesten Sinne mit der Einordnung von medizinischem Arbeiten in den gesellschaftlichen, politischen und historischen Kontext beschäftigen. Als Theorie und als Praxis wurde Narrative Medicine in den frühen 2000ern von der Fachärztin Innere Medizin und Sprachwissenschaftlerin Prof. Rita Charon in den USA entwickelt. Hierbei geht es darum, sich mit den Narrativen zu beschäftigen, denen wir im klinischen Alltag begegnen, die Fähigkeit eines „close readings“ der PatientInnengeschichten zu erlernen und sich vor allem auch mit der eigenen Herkunft, den Stereotypen und Vorurteilen zu beschäftigen, die wir selbst als Subjekt in die Begegnung mit PatienInnen mitbringen und durch die wir die Situation in relevantem Ausmaße mitgestalten. Hierbei spielt auch Sprache eine große Rolle. Rita Charon begann Narrative Medicine an der Columbia University in New York zu unterrichten, mittlerweile hat sich ein interdisziplinäres Team um sie herum gebildet und es gibt neben dem Intensivworkshop zu Narrative Medicine, den ich besucht habe, seit mehreren Jahren auch einen einjährigen Masterstudiengang zu Narrative Medicine.
Ist das für das klinische Arbeiten überhaupt relevant?
Aus verschiedenen Studien wissen wir, dass der überwiegende Teil der Ärzt:innenschaft nicht besonders gut im Bereich Gesprächsführung abschneidet. Wie auch, in der Ausbildung liegt kein Fokus auf Ärztin-Patient:innen-Komunikation. Das aktive Zuhören, das Schaffen von Vertrauen durch gute Kommunkation haben aber relevanten Einfluss auf Compliance und Therapie-Outcome. Somit ist das Zuhören und die gelungene Gesprächsführung evident relevant für eine gute klinische Praxis. Vielen para-ärztlichen Berufsgruppen ist das bereits bewusst und wird dementsprechend in Ausbildung und Praxis verstärkt integriert. Die Humanmedizin hingegen hinkt noch hinterher, aber zukünftig wird sich in diesem Bereich viel ändern müssen.
In Narrative Medicine geht es über die Praxis, bei der es darum geht, Empathie und den Skill des „close reading“ bei medizinischem Personal zu schulen, auch um einen theoretischen, sprachphilosophischen, phänomenologischen und historischen Unterbau, der helfen soll, unser Arbeiten in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu begreifen.
Im klinischen Alltag soll uns das zum Beispiel dabei helfen, herauszulesen, was für die Patientin/den Patient „Bedeutung“ hat, welches Narrativ für das eigene Leiden und Erleben gefunden wurde und auch, was beim Zuhören mit mir selbst als Kliniker:in passiert. Auch geht es darum, durch das aktive Zuhören „Zeugnis“ dieser Geschichte abzulegen („to bear witness“) und damit einen Raum zu schaffen, in dem das Erlebte real werden darf und gehalten/ausgehalten wird.
Wieso bin ich bei Narrative Medicine gelandet?
Anders als in den USA, wo Narrative Medicine mittlerweile sehr bekannt und in vielen „med schools“ Teil des Curriculums geworden ist, kommt in Europa und vor allem dem deutschsprachigen Raum das Bewusstsein dafür erst so langsam auf. Ich hatte das große Glück, dass im vergangenen Jahr ein Wahlfach zu diesem Thema erstmalig an der Medizinischen Universität Wienngeboten wurde, und zwar von einer Palliativmedizinerin in Ausbildung, die tatsächlich den oben erwähnten Masterstudiengang in Narrative Medicine an der Columbia University abgeschlossen hat. Gleich von der ersten Einheit an war ich begeistert. Für jemanden wie mich, der sich sowohl in der Literatur als auch in der Medizin verortete sieht, ging plötzlich eine ganz neue Welt auf und Narrative Medicine schien endlich die Schnittstelle aus beidem zu sein, nach der ich mich so gesehnt hatte. Ich habe in den vergangenen Jahren viele Texte in Literaturzeitschriften publiziert, außerdem einige Bücher, zwei Theaterstücke und bin mit diversen Preisen für mein Arbeiten ausgezeichnet worden. Aber natürlich war das nicht immer einfach mit dem Studium zu vereinbaren und es gab in dem medizinischen Kontext natürlich wenig Verständnis für diese Leidenschaft von mir. Zwei Herzen auch in meiner Brust. Dann aber Narrative Medicine, mittlerweile arbeite ich auch an einer wissenschaftlichen Publikation in dem Bereich für die österreichische Akademie der Wissenschaften und natürlich war klar: wenn ich schon die Chance bekomme, einmal von denen unterrichtet zu werden, die all das begründet haben, muss ich sie auf jeden Fall wahrnehmen.
Hard Facts zu Anmeldung und Teilnahme
Der Workshop hat mit early bird und Geringverdiener-Rabatt USD 470.- gekostet, (dazu kommt natürlich dass Unterkünfte in New York teuer sind). Man musste einige Angaben zur eigenen Person bei der Bewerbung machen und dann auch eine Art Mini-Motivationsschreiben mitschicken, also einen Absatz zum eigenen Hintergrund und warum man an dem Workshop teilnehmen möchte. Etwa einen Monat vor dem Workshop bekamen wir dann einen online Zugang von der Columbia zu dem Modul. Über diese Plattform gab es auch die Möglichkeiten, sich mit den anderen Teilnehmenden (circa 50) zu vernetzen, und dort fanden sich auch die Texte, die wir im Voraus lesen sollten. Die Liste war relativ umfangreich, etwa 15 Texte verpflichtend und dann nochmal 17 optional, außerdem ein Film, den alle davor gesehen haben sollten.
Der Workshop fand dann an drei Tagen, Freitag bis Sonntag, am medizinischen Campus der Columbia University statt und war aufgeteilt in Vorträge und Workshops (in Kleingruppen à 8-10 TeilnehmerInnen).
Wie ist es mir ergangen?
Nachdem ich mich in den zwei Semestern davor so intensiv damit auseinandergesetzt hatte, war die Erwartung an dieses Wochenende groß. Alles in allem würde ich sagen: sie wurden auf jeden Fall übertroffen. Sowohl die Vorträge von den ProfessorInnen, als auch die intensive Arbeit in den Kleingruppen habe ich als extrem bereichernd empfunden, ganz besonders durch den interdisziplinären Austausch, zumal die verschiedensten Professionen vertreten waren. Palliativmedizin, Pädiatrie, Krankenpflege, Hebammen, KünstlerInnen und, und, und.
Vor allem, aber eines war besonders an diesem Wochenende: das Networking untereinander: Von Seiten der Organisation wurde wirklich besonderer Wert darauf gelegt, dass wir, die TeilnehmerInnen die Möglichkeit haben uns untereinander auszutauschen und zu vernetzen. Bereits im Voraus hatten wir online diese Möglichkeit und dann während des Workshops gab es ausreichend Pausen und einmal Round Tables zu verschiedenen Themen, was den regen Austausch untereinander massiv gefördert hat. Ich habe tolle Bekanntschaften geschlossen und sogar berufliche Möglichkeiten haben sich in diesen Gesprächen aufgetan.
Warum erzähle ich das alles?
Einmal möchte ich natürlich mit diesem Beitrag hier für ein Thema sensibilisieren, das ich für wichtig halte wenn man im medizinischen Bereich tätig ist und das mir sehr am Herzen liegt. Anderseits möchte ich damit einfach ganz allgemein alle dazu ermutigen, sich nach weiteren tollen Fortbildungen und Veranstaltungen um zu sehen, wenn ihr schon mal einen Auslandsaufenthalt macht! Es gibt so viele tolle Möglichkeiten, und falls es mit Studierendenrabatt nicht leistbar für euch ist, gibt es u.a. die Möglichkeit bei der ÖH Wien für eine finanzielle Unterstützung bei Fortbildungen anzusuchen.
Stay curious😊
Kostentabelle
Workshop Fee | 470 |
Unterkunft drei Nächte | 360 |
Essen | 120 |
Öffentliche Verkehrsmittel | 20 |
gesamt | 970 Dollar |
Wie ist das aktuell in Österreich mit Narrativer Medizin?
Während Medical Humanities und Narrative Medicine in den USA seit einigen Jahren Einzug in die Curriculae der med schools finden, regt sich in Österreich erst langsam ein Bewusstsein dafür. Zumindest der Begriff der Medical Humanities etabliert sich zunehmend auch bei uns (https://teachingcenter.meduniwien.ac.at/lehre-und-projekte/medical-comics-ausstellung/medical-humanities-im-curriculum-humanmedizin/). In Deutschland gibt es mittlerweile Arbeitsgruppen zu Narrativer Medizin, im November 2023 fand in Berlin ein Symposium zu dem Thema statt, das ich besucht habe. Außerhalb der Ärztinnenschaft allerdings gibt es in vielen Gesundheitsfeldern Bemühungen, sich mehr mit dem Zuhören und der Sprache von Patient:innen auseinanderzusetzen.
Hier einige Beispiele und Links:
Die OEPGK – die österreichische Plattform Gesundheitskompetenz:
der Name der Gesellschaft ist ja recht sperrig, nicht versteht was man sich unter Gesundheitskompetenz vorstellen kann?
https://oepgk.at/nachlese-zum-4-sdg-fruehstuecksdialog-was-kann-gesundheitskompetenz-bis-2030-zu-den-sdgs-beitragen/
# Gute Gesprächsqualität im Gesundheitssystem https://oepgk.at/schwerpunkte/gute-gespraechsqualitaet-im-gesundheitssystem/
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# International Conference on Communication in Healthcare (ICCH 2024) & Each 2024 in Zaragoza, The conference brings together the community of healthcare researchers, teachers, practitioners and policy makers from around the globe.
https://each.international/eachevents/conferences/icch-2024/
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# Health literacy in Europe: comparative results of the European health literacy survey (HLS-EU) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4668324/
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# Interprofessional communication in healthcare
An integrative review
https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1471595316300208
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# Gesundheitskompetenz – Health Literacy:
https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/a-0664-0395
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K Sørensen – Health Literacy im Kindes-und Jugendalter /
Definitionen und Konzepte von Health Literacy – Überblick und Einordnung
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-29816-6_3
Es lässt hoffen, dass sich bald insgesamt ein stärkeres Bewusstsein für diese Themen im medizinischen Bereich etablieren wird.
Weiterführende Links:
Website zu den Narrative Medicine Workshops an der Columbia University/ New York https://www.mhe.cuimc.columbia.edu/narrative-medicine/workshops-and-events/narrative-medicine-workshops
Master of Science Lehrgang “Narrative Medizin”
https://sps.columbia.edu/academics/masters/narrative-medicine
Andere spannende Veranstaltungen rund um Narrative Medicine an der Columbia, teilweise auch online und kostenfrei
https://www.mhe.cuimc.columbia.edu/narrative-medicine/workshops-and-events
Tolle Plattform mit verschiedenen Geschichten von PatientInnen
https://storycorps.org/stories/
Rita Charon gibt eine Einführung zu was Narrative Medicine genau ist
https://www.youtube.com/watch?v=24kHX2HtU3o
Kontakt
Bei Fragen an Tara Meister persönlich, wenden Sie sich direkt an die GI-Redaktion. Schreiben Sie uns ein E-Mail an: media@goinginternational.org
Haben Sie Fragen zu den Themen Arbeiten & Weiterbildung oder Jobsuche & Karriere? Dann schreiben Sie an Frau Mag. Seitz: office@goinginternational.org
Zitierung:
Meister, Tara: Narrative Medizin-Fortbildung an der Columbia University New York (In: Polak, G. [Hg.]: GI-Mail 07/24, ISSN: 2312-0819 Going International, Wien JJJJ)
Veröffentlicht in GI-Mail 07/2024 (Deutsche Ausgabe).
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