von OÄ Dr. Gabriele Grögl.
Der diesjährige Kongress der Österreichischen Schmerzgesellschaft befasste sich mit dem Thema „Schmerzmedizin trifft Alternsmedizin“. Im Anschluss daran möchte ich einiges zu dieser komplexen Thematik festhalten.
Mehr als die Hälfte aller Menschen über 65 Jahre leiden unter Schmerzen. Die häufigsten Ursachen sind Erkrankungen des Bewegungsapparats, Verletzungen nach Stürzen, Osteoporose, neuropathische Schmerzen und Schmerzen im Zusammenhang mit einer Tumorerkrankung. Chronische, unzureichend behandelte Schmerzen können für die Betroffenen folgenschwere, dramatische Konsequenzen haben. Sie beeinträchtigen die Funktionalität sowie die Lebensqualität und können die Autonomie alter Menschen gefährden. Schmerzbedingt können viele Aktivitäten nicht mehr wahrgenommen werden, es kommt zum Verlust sozialer Kontakte und nicht selten zum Auftreten von Schlafstörungen und Depressionen.
Ältere Menschen mit chronischen Schmerzen haben ein 3-fach erhöhtes Risiko eine Depression zu entwickeln. Dabei spielen auch weitere psychosoziale Belastungen, wie der Verlust des Lebenspartners oder von Freunden, reduziertes Einkommen, sowie Abnahme sozialer Kontakte und des gesellschaftlichen Status nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess eine wesentliche Rolle und können den Fokus auf den Schmerz erhöhen.
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Themenschwerpunkt: Multidisziplinäre Schmerzdiagnostik und multimodale Schmerztherapie
29.-30. März 2019, Wien, Österreich.
All diese Faktoren müssen bei der Therapie chronischer Schmerzen im Sinne einer bio-psycho-sozialen Behandlung Beachtung finden. Oftmals ist es für die Betroffenen schmerzbedingt nicht mehr möglich, ihr Leben in der gewohnten Umgebung weiterzuführen. Die Konsequenz ist bestenfalls eine zeitlich limitierte Versorgung in einer Einrichtung für Kurzzeitpflege, nicht selten ist jedoch eine Übersiedelung in ein Pensionisten- oder Pflegeheim unumgänglich. Dieser Verlust des eigenen Heims und der Wechsel in eine neue Umgebung stellen für viele ältere Menschen eine enorme psychische und emotionale Belastung dar. Werden die Patienten zu Hause versorgt, ist dies oft mit großem zeitlichen, finanziellen, physischen und psychischen Aufwand für ihre Angehörigen verbunden. Zusätzlich fallen volkswirtschaftliche Kosten aufgrund von Pflegeurlauben an.
Ziele einer effizienten schmerzmedizinischen Versorgung
Eine effiziente schmerzmedizinische Versorgung geriatrischer Patienten ist daher von großer Bedeutung. Ihre Ziele sind einerseits eine zufriedenstellende Schmerzlinderung, da Schmerzfreiheit bei chronischen Schmerzen kaum erreicht werden kann und andererseits die Aufrechterhaltung der funktionellen Unabhängigkeit und die Optimierung der Lebensqualität. Medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlungsmethoden sollen dabei immer miteinander kombiniert werden.
Medikamentöse Schmerztherapie
Die medikamentöse Schmerztherapie bei geriatrischen Patienten ist aus vielen Gründen oftmals eine große Herausforderung und sehr komplex. Altersbedingte Veränderungen der Pharmakokinetik müssen dabei unbedingt berücksichtigt werden. Dabei sind vor allem die verminderte metabolische Leistungskapazität der Leber und die herabgesetzte Eliminationskapazität der Niere zu beachten. Beides kann zu einer erhöhten Plasmakonzentration des Analgetikums mit der Gefahr des Auftretens vermehrter Nebenwirkungen führen. Die Dosierungen der Analgetika sind daher entsprechend dem Ausmaß der Organfunktionseinschränkung zu reduzieren. Ebenso können die Reduktion des Körperwassers und die Zunahme des Fettgewebes die Plasmakonzentration von Arzneimitteln verändern und müssen bei der Dosierung ebenfalls beachtet werden.
Beim Einsatz von nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) muss bedacht werden, dass deren gastrointestinale Nebenwirkungen mit zunehmendem Alter vermehrt auftreten. Sie sollen daher so kurz wie möglich und so niedrig dosiert wie möglich eingesetzt werden.
Werden Opioide beim alten Menschen verabreicht, so ist vor allem in der Einstellungsphase auf ihre zentralnervösen Nebenwirkungen zu achten, die ein erhöhtes Sturz-und Frakturrisiko mit sich bringen. Generell sollte die medikamentöse Schmerztherapie beim geriatrischen Patienten nach der Empfehlung „start slow-go slow“ erfolgen.
Zu Einschränkungen der medikamentösen schmerzmedizinischen Behandlung älterer Menschen kommt es auch durch ihre Komorbiditäten. Diese stellen oft Kontraindikationen für verschiedene Analgetikagruppen dar. So sind NSAR und Coxibe beispielsweise bei koronarer Herzkrankheit, zerebrovaskulären Erkrankungen und bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit kontraindiziert. Ebenso dürfen NSAR nicht bei floriden oder abgelaufenen gastrointestinalen Ulzera oder bei chronisch entzündlichen Magen-Darmerkrankungen verabreicht werden.
Die Polymorbidität älterer Patienten bedingt ihre Polypharmazie. Diese muss bei der Verabreichung von Analgetika unbedingt berücksichtigt werden, um Arzneimittelinteraktionen möglichst zu vermeiden. Wann immer es möglich ist, sollten Analgetika zum Einsatz kommen, die nicht über das Cytochrom-P450-System metabolisiert werden und damit keine Interaktionen mit anderen Medikamenten hervorrufen können.
Mit fortschreitendem Lebensalter kann es zu kognitiven Beeinträchtigungen und zum Auftreten von Demenzerkrankungen kommen. Daraus resultiert eine Verschlechterung der Compliance und die korrekte Einnahme der Analgetika ist nicht mehr gewährleistet. Bei diesen Patienten müssen Angehörige und Pflegepersonen unbedingt in die Therapie miteinbezogen werden, um weiterhin effektiv behandeln zu können.
Schmerzmedizinische Versorgung
Bei der schmerzmedizinischen Versorgung geriatrischer Patienten sollten immer, wie auch in allen anderen Lebensabschnitten, medikamentöse Therapieverfahren mit nicht medikamentösen Therapieoptionen kombiniert werden. Dazu zählen beispielsweise physikalische Therapien, Physio- und Ergotherapie, TENS, Akupunktur, manuelle Medizin, Osteopathie, Verhaltenstherapie, Entspannungstechniken, psychologische und psychotherapeutische Behandlungen, Kunst- und Musiktherapie und vieles mehr. Ziel dieser Kombinationstherapie ist neben der Schmerzlinderung und der Verbesserung der Funktionalität und der Lebensqualität eine Dosisreduktion der Analgetika und eine Verkürzung ihrer Anwendungsdauer.
Schmerz-Selbstmanagement
Nicht minder wichtig ist, dass der alte Patient erkennt, dass nicht nur sein Arzt, sein Physiotherapeut oder seine Pflegeperson für die Behandlung seiner Schmerzen zuständig ist, sondern er selbst dabei eine zentrale Rolle einnimmt.
Sein Schmerz-Selbstmanagement basiert auf dem Erlernen von Strategien und Fähigkeiten, die das Leben mit Schmerzen erleichtern. Diese Veränderung der Sichtweise und der Schritt in die Aktivität sind für chronische Schmerzpatienten oftmals nicht einfach umsetzbar. Dazu kommt die Angst, den Schmerz durch Aktivität zu verstärken.
Das gesamte Betreuungsteam, sowie Familie und Freunde müssen in das Vorhaben, den Lebensstil zu verändern, zur Unterstützung miteinbezogen werden. Wesentliche Eckpfeiler des Schmerz-Selbstmanagements sind ein Bewegungsprogramm, das der Patient, abgestimmt auf seine physischen Fähigkeiten, regelmäßig und alleine durchführen kann sowie regelmäßiges Entspannen.
Wie die Auswahl der Bewegungsübungen, richtet sich die Wahl der Entspannungsart individuell nach dem Patienten. Einige werden beispielsweise Lesen, Musik hören oder Gartenarbeit bevorzugen, während andere Spaziergänge, Yoga oder Meditieren vorziehen.
Dieses Schmerz-Selbstmanagement ist in der Lage älteren Patienten aus ihrer Isolation zu helfen, es verbessert ihre Stimmungslage, stärkt ihr Selbstbewusstsein und kann sich auch positiv auf ihre kognitiven Fähigkeiten auswirken. Es sollte daher immer in die schmerzmedizinische Versorgung geriatrischer Patienten miteinbezogen werden.
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Themenschwerpunkt: Multidisziplinäre Schmerzdiagnostik und multimodale Schmerztherapie
29.-30. März 2019, Wien, Österreich.
Die Autorin verzichtet für eine bessere Lesbarkeit des Textes auf eine geschlechtsspezifische Formulierung. Es sind jedoch immer beide Geschlechter im Sinne der Gleichbehandlung angesprochen.
Zitierung:
Grögl, Gabriele: Schmerzmedizinische (In: Polak, G. [Hg.]: GI-Mail 06/18, ISSN: 2312-0819 Going International, Wien 2018)
Diese Publikation steht hier zum Download bereit.
Veröffentlicht in GI-Mail 06/2018 (Deutsche Ausgabe).
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